Organismen als Naturzwecke
Newtons Naturgesetze wirken mit Notwendigkeit. In der organischen Natur stoßen wir hingegen auf eine bemerkenswerte Zufälligkeit. Organismen könnten in ihrem komplexen Aufbau auch tausendfach anders in Erscheinung treten. Wenn mechanische Kausalität allein nicht erklären kann, dass der Organismus aber gerade so und nicht anders gebaut ist, was dann?
Als Beispiel nennt Kant die Entdeckung eines Sechsecks im Sand. Dass das Meer, der Wind oder ein Tier die Form gezeichnet haben könnte, erschiene uns als allzu großer Zufall. Wir würden stattdessen eine Vernunft vermuten, und sei es die eines einsamen Robinson Crusoe, der sich einen Begriff (das Sechseck) als Zweck gesetzt und in den Sand gezeichnet hat.
Bei Organismen drängt sich ob ihrer zufälligen Anatomie ebenso die Idee auf, dass ein Zweck und so (§10) ein Begriff die Ursache ist. Kant nennt Zweckmäßigkeit auch Gesetzlichkeit des Zufälligen. Organismen sind auf besondere Art zweckmäßig, da sie von sich selbst in doppeltem Sinne Ursache und Wirkung sind. So definiert Kant den Naturzweck (§64), der nur Organismen zukomme (§65), weil nur diese zu Fortpflanzung, Wachstum und Selbsterhaltung fähig sind.
Heißt: (1) Organismen pflanzen sich fort und bringen dadurch sich selbst als Spezies ursächlich hervor. (2) Sie führen sich Nährstoffe zu, die ihr Wachstum als Individuum bewirken. Vor allem aber (3) erhalten sich die Teile eines Organismus gegenseitig und sind somit wechselseitig (»in zwiefachem Sinne«) Ursache und Wirkung ihrer Existenz als Ganzes.
Der Baum erzeugt die Blätter, zugleich schützt und erhält das Blattwerk den Baum. Manche Organismen sind fähig, fehlende Teile zu regenerieren, Süßwasser-Polypen gar ihren Rumpf oder Kopf – was zu Kants Zeit entdeckt wurde und die Präformationstheorie weiter schwächte. Auch die Heilung von Wunden durch den Organismus selbst sind ein Beispiel für das besondere, wechselseitige Ursache-Wirkung-Verhältnis organischer Wesen als Naturzwecke.
↪ Für diese Einsicht beansprucht Kant nun prinzipielle Gültigkeit.
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OaN
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