Die Gesamtnatur als teleologisches System Die menschliche Vernunft hat durch ihre eigene Natur das besondere Schicksal, von Fragen belästigt zu werden, die sie weder abweisen noch beantworten kann. Mit dieser Feststellung zu Beginn der KrV eröffnet Kant sein kritisches Projekt. Ähnliches gilt für gewisse Ideen, die sie sich unserer Vernunft aufdrängen, ohne dass sie sich als real gegeben nachweisen lassen. Eine solche Idee ist die innere Zweckmäßigkeit von Organismen. Wenn Forscher zu ergründen versuchen, warum bestimmte Teile eines Organismus existieren bzw. funktionieren, dann können sie sich der Idee der inneren Zweckmäßigkeit gar nicht erwehren. Die Annahme von Zwecken (einer Teleologie) ist bei der Erforschung der Natur als Leitidee genauso notwendig wie das mechanisch-kausale Denken, das Erfahrung erst ermöglicht. Die Zweckkausalität als Leitidee führt die Vernunft aber in eine andere Ordnung der Dinge, als die eines bloßen Naturmechanismus, der uns hier nicht mehr genügen will (§66) – und wenn wir diese Leitidee ernst nehmen, müssen wir sie aufs Naturganze erstrecken. Die Natur als Ganzes, auch alle unbelebten Dinge in ihr, ist als System von Zwecken zu denken, als eine (!) organisierte Materie, die dem Prinzip folgt, dass alles in ihr zweckmäßig sei – zumindest als ob. (§67) Es ist die menschliche Wissbegier, die uns zu diesem Gedanken treibt, nicht als Forscher, sondern als Philosophen, die den Drang verspüren, Dinge zu Ende zu denken. Für die Tatsache, dass Mechanismus und Teleologie für unseren Verstand nicht miteinander vereinbar scheinen, heißt das, einer Erklärungsart den Vorrang zu geben. Da diese eine übergeordnete Perspektive einnehmen muss, kann es nur die Teleologie sein, die das Übersinnliche mit umfasst. Die Idee von der Gesamtnatur als teleologisches System führt uns nun weiter zu einem Endzweck, der nicht zugleich Mittel ist, und somit kein reines Naturding sein kann. Denn alle reinen Naturdinge sind auch Mittel für andere. Etwas, das nicht ausschließlich in der Natur existiert, ist ein moralisches Wesen – und das einzige Naturding, das wir zugleich als moralisches Wesen erleben, ist der Mensch. ↪ So gelangt Kant in seiner KdU über die Themen des Schönen, Erhabenen und Zweckmäßigen wieder zur Moral. Darauf liefen auch schon seine KrV (über die objektive Erkenntnis) und seine KpV (über praktische Grundsätze) hinaus. Moralische Überlegungen sind für Kants kritisches Projekt von höchster Bedeutung. In der KdU münden sie in einen moralischen Gottesbeweis. (Doch zuvor gilt es, das Verhältnis der Teleologie zur Theologie und zum Mechanismus noch kurz zu umreißen.) %% Orientiert sich an [[Hoeffe2024KantKdU]], 20.6 Teleologie und Moral sowie 20.7 Vorläufige Bilanz. ← [[exam on Kant|Klausur über Kant]] ← [[principle of natural purposes|Naturzweck als Prinzip]] → [[humans as moral beings|Der Mensch als Endzweck]] GtS - Schicksal - Forscher - Leitidee - Wissbegier - Endzweck - Zusammengefasst Notes: Zw. Zweckmäßigkeit u. Mechanismus (Arten von Kausalität) besteht unüberbrückbare Kluft. Es gibt keine Gegenstände ohne Begriffe, die als Regeln dienen. In diesem Fall sind die Begriffe die Ursachen von ... »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« leiten sich von der Vernunft ab. Sie drücken dessen Verlangen nach dem aus, was nicht ist, aber durch vernünftige Handlung werden kann und soll (Zweck). Der Vernunft erscheint die Welt so, als wäre alles als Mittel da und mit ihren vernünftigen Forderungen in Übereinstimmung (Zweckmäßigkeit). Ein Zweck wird realisiert, indem die Natur in ihrer Eigengesetzlichkeit unterbrochen wird (Zufälligkeit), in Übereinstimmung mit einem Begriff bzw. einer Regel (Gesetzmäßigkeit). Die Urteilskraft muss in ihrer Reflexion über Organismen – wie beim Naturschönen – eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck annehmen. Die Natur wird in ihren organischen Produkten als gesetz- und zweckmäßig gedacht, ohne dass ihr ein Wille zugeschrieben wird.