Endzweck der Natur & Primat der Praxis Der Endzweck der Natur ist nach Kant der Mensch, insofern er ein Moralwesen ist. Als ein solches liegt es uns an einer Welt, in der moralische Gesetze gelten. Die Möglichkeit einer sittlichen Weltordnung ist eine dieser Ideen, die sich uns aufgrund der Natur unserer Vernunft unweigerlich aufdrängen. Doch wir selbst sind nicht nur Moralwesen, sondern auch Naturgeschöpfe, die oft zum unmoralischen Handeln neigen. Damit eine sittliche Weltordnung möglich sein kann, müssen wir eine oberste Gesetzgebung annehmen, die in beiden Sphären herrscht, der natürlichen und der moralischen, und somit eine gesetzgebende Instanz als oberste Ursache bzw. einen obersten Gesetzgeber. Dessen Eigenschaften wären nicht nur Allmacht, Allwissen und Omnipräsenz. Als ein moralischer Gesetzgeber wäre er auch als allgerecht und allgütig zu denken. Ohne die Annahme eines solch moralischen Welturhebers wäre auch eine andere Idee, die uns innewohnt und ein Baustein zur sittlichen Weltordnung ist, nicht möglich: die des höchsten Guts. Das höchste Gut beschreibt Kant als Übereinstimmung des höchsten physischen Guts für uns als Naturwesen, der Glückseligkeit, mit dem Gesetz der Sittlichkeit, das einzuhalten uns des Glückes würdig macht. Die Glückswürdigkeit führt Kant schon in der KrV ein und in der KpV weiter aus. In der KdU begründet er damit einen praktischen Glauben für uns Moralwesen, die wir eine sittliche Weltordnung für möglich halten müssen. Kant geht es in seinem ganzen kritischen Projekt somit nicht zuvorderst um Erkenntnistheorie, sondern um Ethik. Er löst seine Aufgabe, den Brückenschlag zwischen Theorie (Natur, Verstand) und Praxis (Freiheit, Vernunft), indem er der Praxis den Vorrang einräumt und zu Einsichten aus der KpV zurückkehrt. Seine Argumentation ist kompliziert, verwinkelt, teils verworren, und wurde vielseitig angefochten. Dennoch erweist sich Kants Begründung teleologischer Annahmen als bis heute einleuchtend, bedenkenswert und (trotz aller Fortschritte in der Biologie und der Erforschung des Lebens) nicht einfach von der Hand zu weisen. Auch der Primat der Praxis bleibt ein wichtiger Leitstern am Firmament der Ideen, ob im Hinblick auf die Erklärung der organischen Natur, oder auch das Erreichen eines ewigen Friedens. (Noch so ein Thema, bei dem die Teleologie von Bedeutung ist.) ↪ Dass die theoretische Natur nur als mit der Praxis vereinigt denkbar bzw. gegeben sein soll, das stellt viele Gemüter jedoch nicht zufrieden – und bildet einen Anknüpfungspunkt für den Deutschen Idealismus. Kant hätte, um einen gemeinsamen Urgrund von Freiheit und Natur zu finden, letztlich seinen Dualismus aufgeben müssen. Einen Anlass dazu gäbe die Einsicht, daß die Teile eines Organismus selbst Totalitäten sind, also in sich je etwas ungeteiltes Ganzes. Dies weiterzudenken unternimmt etwa Friedrich Schelling, dessen Identitätskonzeption infolge einer kritischen Auseinandersetzung mit Kants Gedanken zum Organismus entstanden ist. %% Orientiert sich an [[Hoeffe2024KantKdU]], 20.6 Teleologie und Moral sowie 20.7 Vorläufige Bilanz. Außerdem orientiert sich dieser Part auf das Ende von [[Kritik der Urteilskraft. Schriften zur Aesthetik und Naturphilosophie (2009)]].